Sieber: Das ist eine bodenlose Frechheit.
Affolter: Reg' dich nicht auf, der Mann tut nur seine Pflicht.
Sieber: Wo sind wir denn? Du musst niesen, und schon kommt so ein schnauzbärtiger Securitas und weist uns vom Bundesplatz.
Affolter: Ich gebe zu, es war unklug von mir, mit einer politischen Antwort zu kommen.
Sieber: Der Mann fragt dich: "Was treiben Sie da?".
Affolter: Und ich sage ordnungsgemäss, dass ich in dieser Jahreszeit Heuschnupfen habe.
Sieber: Und Heuschnupfen soll neuerdings auf dem Bundesplatz verboten sein?
Affolter: Die Damen und Herren vom Parlament fühlen sich halt durch das Volk auf dem Bundesplatz in ihrer Arbeit gestört..
Sieber: Ein Drittel unserer Bevölkerung hat Heuschnupfen.
Affolter: Das sind drei Millionen. Und wenn nun die alle gleichzeitig vor dem Bundeshaus niesen würden, wäre das ein Anschlag auf die Demokratie.
Sieber: Schauderhaft.
Affolter: Genau deshalb verlangt dieser Motionär, dass die politischen Meinungsäusserungen auf dem Bundesplatz eingeschränkt werden. Und zwar drastisch.
Sieber: Wer ist eigentlich der ruhebedürftige Mann?
Affolter: Ein Bergbauer aus der Innerschweiz. Kommt hinzu, dass das Wort "Heu" im Moment per se politisch ist.
Sieber: Braucht der Bergbauer von dieser Dingspartei kein Heu?
Affolter: Es ist so: Unser Emmentaler hat neuerdings zu kleine Löcher, die Milch ist zu sauber, zu wenig Heustaub.
Sieber: So weit, so uninteressant.
Affolter: Keineswegs: hochpolitisch. In Frankreich darf der dortigen Milch Heublütenpulver beigemischt werden. Und damit hat deren Emmentaler grössere Löcher. Wettbewerbsvorteil.
Sieber: Also lanciert demnächst diese Dingspartei eine Käseinitiative.
Affolter: Die kommt aber nur, wenn die Leute da drinnen in Ruhe Parlament spielen können. Dann kommen denen die besten Käse-Ideen.
Sieber: Toll. Der Hammer ist aber, dass mir der Typ von der Securitas meine Einkaufstasche konfiszieren wollte.
Affolter: Politische Symbole sind auf dem Bundesplatz eben verboten.
Sieber: Das ist meine Einkaufstasche!
Affolter: Aber sie ist weiss. Und das könnte man als Friedensfahne deuten.
Sieber: Bitteschön, auf dem Roten Platz in Moskau wäre eine weisse Tasche womöglich problembehaftet. Aber doch nicht hier!
Dass mir der Securitas noch hinterher gebellt hat, wenn ich etwas für den Frieden tun wolle, solle ich auf den Bürgenstock gehen, ist geschmacklos.
Affolter: Eher ein Fortschritt. Vor vierzig Jahren hätte dir der gute Mann noch ein kräftiges "Moskau einfach!" entgegengeschleudert.
Sieber: Etwas übertrieben ist es aber schon, dass sich zwei ruhebedürftige Nationalräte mit Muskelkraft den Zugang zur Bundeshaustreppe erkämpfen.
Affolter: In anderen Zeiten hätten sich Linksextremisten mit der Polizei geprügelt.
Sieber: Wenn wegen eines Vertreters der Ukraine für ein paar Minuten ein rotweisses Absperrband aufgespannt wird, ist es natürlich dringend nötig, dass sich zwei Rechte für den Frieden einsetzen. Haben sie eigentlich "Sorgt für unsere Frauen und unsere Kinder" gerufen?
Affolter: Meines Wissens haben sie die Polizisten mit Nazi-Vergleichen eingedeckt.
Sieber: Immer einen flotten Spruch auf den Lippen. So sind sie halt, unsere Volksvertreter.
Affolter: Was für den Stammtisch genügt, ist vor den steinernen drei Eidgenossen erst recht am Platz.
Sieber: Oha, dort drüben auf der grossen Treppe im Eingang wird schon wieder jemand weggescheucht.
Affolter: Ein Lobbyist?
Sieber: Ein Vogel.
Affolter: Sehr schön, jetzt hat die Vogelwarte Sempach auch einen Interessenvertreter in diesem ehrwürdigen Gebäude.
Sieber: Wenn ich's dir sage: es ist ein richtiger Vogel.
Affolter: Jetzt sehe ich's auch: eine weisse Taube!
Bern, 1. Juli 2024