Nr. 32 - Schlaflos in Wabern
Affolter: Platz bitte für meinen Schubkarren!
Sieber: Wenn du Äpfel aus deinem Garten für den Bundesplatzmärit liefern willst: da vorne geht es nach links und nicht nach rechts.
Affolter: Weiss ich, die Polizeidirektion ist an der Gerechtigkeitsgasse, also von hier nach rechts.
Sieber: Ah so, brauchen die dort etwas Gesundes zwischen die Zähne?
Affolter: Ich liefere Handschellen, nicht Äpfel.
Sieber: Potzblitz. Hat dieser Polizeidirektor Müller ausgerechnet bei dir Handschellen bestellt?
Affolter: Mache ich alles freiwillig, eine grosszügige Spende eines engagierten Bürgers.
Sieber: Das hört man gerne. Du greifst dem Staat Bern unter die Arme?
Affolter: Ans Handgelenk, mein Lieber.
Sieber: Gehen unseren Freunden und Helfern die Handschellen-Vorräte aus?
Affolter: Und ob, dauernd sind die Dinger wegen stundenlanger Verwendung blockiert.
Sieber: Da waren doch die Frauen von dieser Punkband, die auf der Polizeiwache am Waisenhausplatz vier Stunden in Handschellen festgehalten wurden.
Affolter: Zwecks erkennungsdienstlicher Behandlung. Und das nur, weil sie des Nachts neben dem Hotel Ambassador in Wabern ein Mäuerchen besprayt haben.
Sieber: Politische Werbung in Strassennähe ist halt nicht erlaubt, es könnte die Aufmerksamkeit im Verkehr beeinträchtigen. Wer hat eigentlich die Polizei gerufen, der Hotelportier?
Affolter: Ein Nachbar, der offenbar unter Schlaflosigkeit leidet.
Sieber: Ein unglückliches Zusammentreffen: drei Frauen aus Russland, die vor ihrem Auftritt in der Mühle Hunziken darauf hinweisen wollen, wie nahe der Krieg in der Ukraine ist...
Affolter: ... und ein schlafloser Bürger, dem ob des Anblicks der drei Frauen mit Spraydosen unwohl ist. Dabei hätte er seinen Feldstecher nur nach rechts statt nach links richten müssen.
Sieber: Dort haben sicher Nachtbuben grosse Mauern mit unleserlichen Sprayereien verunziert.
Affolter: Keineswegs. Auf dem Acker hat der Gemeinderat Burren mit einem Plakätchen darauf aufmerksam gemacht, was für ein toller Bursche er als Gemeindepräsident von Köniz wäre, vorausgesetzt, man wählt ihn.
Sieber: Das findest du überall, diese Plakate auf Ackerland, die für einen SVP-Mann werben oder gegen eine Umweltinitiative wettern.
Affolter: Eben, das ist eigentlich genau gleich verboten wie die gesprayten Infos der drei Frauen.
Sieber: Klar, es lenkt beides von der Strasse ab. Aber die drei Frauen kommen aus Russland und dieser Burren aus Gasel. Die Polizei kann halt nicht überall sein.
Affolter: Könnte sie schon, aber sie hat zu wenig Handschellen.
Sieber: Hunderte von Bauern, die im ganzen Kanton in Handschellen abgeführt und stundenlang erkennungsdienstlich behandelt werden müssen, das braucht schon etwas Zeit und Material.
Affolter: Genau deshalb spende ich hundert Handschellen, beste Ware aus Belarus, siebzehn Euro dreissig das Stück.
Sieber: Auf dass vor dem Gesetz alle gleich sind. Blöd ist nur, dass du diesen Polizeidirektor Müller nicht im Büro vorfindest.
Affolter: Ja, wo ist er denn?
Sieber: Er klappert die Polizeiposten ab.
Affolter: Ein Regierungsrat, der die Truppe besucht, ist immer gern gesehen.
Sieber: Es ist so: nachdem das Kantonsparlament einen Vorstoss abgelehnt hat, der die Aufnahme von Leuten ohne Schweizer Pass ins Polizeikorps vorschlug...
Affolter: Huch!
Sieber: Das hat sich dieser Müller auch gesagt und hat den Verdacht, es könnten sich Passlose ins Korps eingeschlichen haben.
Affolter: In der Beiz hast du auch Personal, das nicht lupenreines Berndeutsch spricht. Ist doch nicht schlimm.
Sieber: Bei der Polizei offenbar schon. Stell dir vor, dieser Burren, Landwirt aus Gasel, kommt im urbanen Wabern in eine Polizeikontrolle.
Affolter: Dann sagt der Polizist zu diesem Burren; "Öie Uswis bitte."
Sieber: In der Vorstellung von diesem Polizeidirektor könnte es aber sein, dass der Polizist etwas anderes sagt.
Affolter. Nämlich?
Sieber: "Zeig mir dini Uswis, Mann!"
Bern, 20. September 2022