Sieber: Jetzt ist es passiert!
Affolter: Nun ja, es passiert dauernd etwas.
Sieber: Sie haben die Macht endgültig übernommen.
Affolter: Wer, die Virologen?
Sieber: Natürlich nicht, ich meine...
Affolter: Ach so, du meinst die Querdenker?
Sieber: Ach woher. Die sind ja jetzt verboten, die Demos auf jeden Fall. Nein, ich meine...
Affolter: Entschuldige, du meinst natürlich die Sache mit der SVP.
Sieber: Was ist jetzt schon wieder mit denen los?
Affolter: Die haben in unserem Land im Jahr 2021 alle wichtigen Ämter besetzt.
Sieber: Weiss ich, Bundespräsident, Nationalratspräsident, Ständeratspräsident, alle SVP. Aber ich meine eine ganz andere Machtübernahme.
Affolter: Noch eine?
Sieber: Die Nudelköche!
Affolter: Okay, Kochen ist Mode. Es vergeht kaum eine Fernsehsendung, ohne dass irgend so ein Rübezahl dem staunenden Publikum erklärt, was er in seine Töpfe schnetzelt und wie er dabei das Rüstmesser in der Hand zu halten gedenkt.
Sieber: Es ist noch schlimmer.
Affolter: Tatsächlich?
Sieber: Es verhält sich so: ich will während des Lockdowns...
Affolter: Es heisst "sanfter Lockdown".
Sieber: ...es ist Sonntag und ich will in meinem Tea-Room im Breitenrain einen Kaffee trinken und die Sonntagszeitungen lesen.
Affolter: Und du hast nicht damit gerechnet, dass alles geschlossen ist.
Sieber: Genau. Ich fahre also mit dem Tram zum Bahnhof, weil ich dann halt an einem Kiosk die Zeitungen wohl oder übel kaufen muss.
Affolter: Aber bei einem sanften Lockdown haben auch die Kiosks geschlossen.
Sieber: Ich irre im Bahnhof herum, und was kann ich überall kaufen?
Affolter: Nichts.
Sieber: Doch, Nudeln! Nudeln mit Huhn, Nudeln mit Currysauce, Nudeln mit Sprossen und mit Kardamom gewürzt.
Affolter: Das ist ja widerlich. Sonst gibt's nichts?
Sieber: Ab und zu eine einsame Frühlingsrolle, sonst nichts.
Affolter: Keine Zeitungen?
Sieber: Keine Zeitungen. Wie steht es mit meinem Recht auf Information am Sonntag? Soll ich wie im alten Rom in Nudeln herumstochern, um mich über die Zukunft zu informieren?
Affolter: Das waren in Rom Eingeweide, die der Voraussage des Schicksals dienten. Du könntest ja an den Computer sitzen und so alle Zeitungen der Welt lesen.
Sieber: Ich setze mich am Sonntag sicher nicht an einen Computer wie ein verdammter Bürohengst! Ich will am Sonntag Kaffee trinken und in der Zeitung den Bericht aus dem Bundeshaus konsultieren.
Affolter: Wo jetzt die SVP an den Schalthebeln sitzt.
Sieber: Ach was, die leiten einfach die Sitzungen, das ist alles.
Affolter: Gut, dann wenden wir uns wieder deinen Nudeln vom Sonntagmorgen zu.
Sieber: Ich stapfe also nach Hause, ohne Zeitungen, setze mich gleich an den Computer...
Affolter: Aha.
Sieber: Nicht zur Zeitungslektüre. Ich schreibe den drei grossen Sonntagsblättern ein Mail mit der Frage, ob sie sich bewusst seien, dass man sich in den Bahnhöfen unseres Landes zwar an Take Aways Nudeln kaufen könne, aber vergebens einen Kiosk suche, der mir ein Sonntagsblatt verkaufe.
Affolter: ...und diese Druckerzeugnisse damit ihrer Informationspflicht nicht nachkämen?
Sieber: Erraten. Tatsächlich haben sich einige der angesprochenen Blätter bei mir gemeldet.
Affolter: Indem sie dich zu einem Nudelessen in einer zugigen Ecke des Bahnhofs eingeladen haben?
Sieber: Das eine Blatt wollte mein Mail gleich als Leserbrief abdrucken. Und die Zeitung mit den grossen Schlagzeilen anerbot sich, mir ein Jahresabo zu verkaufen.
Affolter: Ja, so ein sanfter Lockdown bringt halt Unannehmlichkeiten mit sich. Mir bereiten die drei Männer an der Spitze unseres Landes mehr Sorge. Was machen die eigentlich beruflich?
Sieber: Also, der eine ist Weinbauer, der zweite Milchbauer mit Lizenz, Rindvieh zu versteigern, und der dritte tanzt etwas aus der Reihe, er ist Versicherungsfachmann.
Affolter: Da bin ich aber beruhigt, das sind alles systemrelevante Tätigkeiten.
Sieber: Genau wie die Nudelköche im Berner Bahnhof, deren Systemrelevanz offenbar unbestritten ist.
Affolter. Und was machst du am nächsten Sonntagmorgen?
Sieber: Ich gehe im Bahnhof zum nächsten Take Away und verlange...
Affolter: ... eine Zeitung?
Sieber: Nein, Buchstabensuppe.
12. Januar 2021