AFFOLTERundSIEBER
der satirische Polit-Blog

Nr. 25 - Neutral am Zytglogge

 

Affolter: Ich muss mich erst einmal hinsetzen.

Sieber: In diesen Tagen kommt man leicht ausser Atem.

Affolter: Vor dem Zytglogge gab es eine Schlägerei.

Sieber: Man muss halt nicht nach Mitternacht in der Altstadt herumlungern in deinem Alter.

Affolter: Es ist am heiterhellen Tag passiert.

Sieber: Haben sich die Ladenbesitzer nicht beschwert?

Affolter: Und ob. Die Frau vom Souvenirlädeli an der Ecke hatte schon der Polizei angerufen. So etwas würde einem das ganze Geschäft mit den Touristen vermiesen.

Sieber: Und wer hat sich geprügelt.

Affolter: Achso, der eine hat sinnlos auf einen anderen eingeschlagen, der zufällig dort vorbeikam... 

Sieber: Und was hast du gemacht, bist du dazwischen gegangen?

Affolter: Auf keinen Fall, ich habe meine Guten Dienste angeboten.

Sieber: Deine was?

Affolter: Die Guten Dienste. Das nennt man so, wenn man neutral ist und sich den Konfliktparteien als Vermittler anbietet. 

Sieber: Wurde dein Angebot wohlwollend aufgenommen?

Affolter: Teilweise, obschon ich mich mit honigsüssen Worten ins Zeug gelegt habe.

Sieber: Waren deine Worte nicht honigsüss genug?

Affolter: Das Opfer, das bereits am Boden lag, konnte notgedrungen nicht sprechen. Und der, der auf ihn eingeschlagen hat, befahl mir lautstark, ich solle mich verpissen. Saumässiges Vokabular hatte der Mann.

Sieber: Eine heraufordernde Situation, wenn man seine Guten Dienste anbieten will.

Affolter: Also, wollen tat ich gar nicht, ich habe nur ein Angebot gemacht. Man kann mir aber zugutehalten, dass ich nicht locker gelassen habe. 

Sieber: Ich muss sagen: vorbildlich.

Affolter: Ich habe dem Opfer angeboten, mit ihm den Chäs-Bueb nebenan aufzusuchen. Das würde ihn stärken.

Sieber: Reaktion?

Affolter: Nichts. Dafür haben mutige Passanten, ich glaube, es waren amerikanische Touristen, den anderen daran gehindert, weiter zuzuschlagen. 

Sieber: Wenn wir die Amerikaner nicht hätten...

Affolter: Nachdem das mit dem Chäs-Bueb nichts war, habe ich dem Opfer, dessen linkes Auge zunehmend geschwollen war, zu einem Kauf einer schicken Brille beim Brillen-Bärtschi gleich gegenüber dem Zytglogge geraten.

Sieber: Toll, der gibt dir bei deinem nächsten Brillenkauf sicher einen Rabatt.

Affolter: Inzwischen ist aber die Polizei eingetroffen, hat den Angreifer festgenommen.

Sieber: Und der Mann am Boden?

Affolter: Der wurde mit einer Ambulanz weggefahren.

Sieber: Haben sich die Ladenbesitzer für dein Engagement bedankt?

Affolter: Also, die Dame vom Souvenirlädeli schon. Das sei so eine Sauerei, wenn man sich jetzt schon vor dem Zytglogge prügle.

Sieber: Davon könnte man - das tönt jetzt etwas unschön - auch profitieren.

Affolter: Profitieren? Ist das nicht etwas unmoralisch?

Sieber: Wenn der Schläger mit der Einvernahme bei der Polizei fertig ist und das Opfer vom Notfall verarztet wurde, laden wir die beiden zu einem Aussöhnungstreffen ein, wir sind ja neutral.

Affolter: Und wo, wenn ich fragen darf?

Sieber: Idealerweise gleich beim Zytglogge. Dort hat es drei Apotheken.

Affolter: Wer soll profitieren?

Sieber: Erstens die Apotheke, in der das Treffen stattfindet. Man kann den beiden Beruhigungspillen und Salben verkaufen. 

Affolter: Und der Chäs-Bueb liefert die Verpflegung.

Sieber: Und das Brättli, aus echtem Simmentaler Arvenholz, sponsert der Souvenirladen.

Affolter: Klar, man lässt sich nur ungerne lumpen. Dafür verkauft man beiden auch noch je ein Militärsackmesser.

Sieber: Die Gegend um den Zytglogge soll vor allem eins bleiben...

Affolter: ...eine ruhige Gegend, wo man gerne und ungestört gutes Geld verdient.

Sieber: Und die Amerikaner zuverlässig dazwischen gehn, wenn eine Schlägerei passiert.

20. März 2022