Nr. 30 - Die Todin
Sieber: Das höre ich gar nicht.
Affolter: Dann ist es Zeit für ein Hörgerät.
Sieber: Ich höre das Gebimmel schon, aber ich blende es aus.
Affolter: Du blendest es aus?
Sieber: Diese tägliche Präsenz der Kirche ist eine Zumutung.
Affolter: Auch wenn du aus der Kirche ausgetreten bist: es ist nicht schlecht, wenn wir in unserem Alter an die Vergänglichkeit erinnert werden.
Sieber: Dazu brauche ich keinen Sigrist, der auf einen Knopf drückt und die ganze Innenstadt mit diesem Gedröhn überzieht.
Affolter: Du willst dich eben nicht mit dem Tod auseinandersetzen.
Sieber: Und ob ich das tue. Hier, ich sammle Todesanzeigen.
Affolter: Du sammelst was?
Sieber: Du glaubst nicht, was Hinterbliebene alles zu verkünden haben.
Affolter: Ich finde nicht, dass wir unserem Publikum so etwas zumuten sollten. Der Tod ist nicht lustig.
Sieber: Warum nicht? Hier: eine Trauerfamilie, bestehend aus Heinz und Vreni Soundso mit Larissa und Maximilian. Und auf einer separaten Zeile noch Mineli, in Klammer Katze.
Affolter: Das ist zwar rührend, aber, entschuldige, Tiere haben in einer Todesanzeige nichts zu suchen.
Sieber: Es kommt noch besser. Hier heisst es neben dem Namen des Verstorbenen: "Är het d Harfe gfasst".
Affolter: Das ist Militärjargon. Man 'fasst' ein Gewehr, keine Harfe.
Sieber: Immer diese Nörgelei. Und hier: "Âr het müesse abhösele".
Affolter: Jetzt wird's aber würdelos. Es ist auch Mode geworden, dass alle ihre Asche in der Aare, in einem Wald, unter einem Baum oder auf einer Alpwiese verstreut haben wollen.
Sieber: Jaja, und dann gibt es noch welche, die ein Teil ihrer Asche sogar mit einer Rakete ins All befördern lassen wollen.
Affolter: Ich verstehe nicht, weshalb der Tod ein Anlass für kreative Einfälle sein sollte.
Sieber: Stell dir vor, da rieselt die Asche eines Raketenmilliardärs auf deinem Kopf. Dabei wolltest du nur stumme Zwiesprache mit der Sternenpracht halten.
Affolter: Es geht halt doch nichts über eine Beerdigung, mit Glocken, besinnlichen Worten des Pfarrers...
Sieber: Und was ist mit den Pfarrerinnen?
Affolter: Stimmt, bei den Reformierten sind das fast alles Frauen. Also, besinnliche Worte der Pfarrerin und dann ab zur Erdbestattung.
Sieber: Nicht sehr ökologisch, findest du nicht?
Affolter: Der Ascheregen über der Aare ist auch nicht besonders nachhaltig..
Sieber: Der Tod ist eben ein Skandal und die Beseitigung der menschlichen Überreste kurz gesagt eine Sauerei.
Affolter: Das ist zwar etwas pointiert ausgedrückt, aber ganz falsch ist diese Schlussfolgerung nicht.
Sieber: Danke. Ich frage mich gerade, ob man den Tod nicht geschlechtsneutral umformulieren sollte.
Affolter: Aha, der Herr Gender-Beauftragte spricht. Wie sollte es dann heissen? Die Todin?
Sieber: Das Tod tönt netter.
Affolter: Zum Glück heisst es 'das Münster', sonst würde es sicher einen Vorstoss von Linksgrün im Stadtrat absetzen.
Sieber: Ah, jetzt höre ich den Glockenton auch. Sehr tief und...
Affolter: Das ist eine F35, die startet gerade in Meiringen zum Testflug.
Bern, 14. Juli 2022